Affen reagieren auf Animationen im Hollywood-Stil
Wer mehr über das soziale Miteinander von Affen lernen möchte, muss den Tieren die Gesichtsausdrücke ihrer Artgenossen in kontrollierter Weise präsentieren. Das ist mit Videos von echten Affen allein nicht möglich. Deshalb haben Neurowissenschaftlerinnen und Neurowissenschaftler der Arbeitsgruppen von Professor Peter Thier und Professor Martin Giese vom Hertie-Institut für klinische Hirnforschung und dem Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften der Universität Tübingen einen Affen-Avatar entwickelt, der diesen Anforderungen genügt.
Allerdings gibt es den sogenannten „Uncanny Valley“-Effekt. Dieser Effekt besagt, dass menschenähnliche Avatare bei menschlichen Betrachtern Befremden hervorrufen, wenn die Avatare zu realistisch sind. Dieser Effekt ist auch bei Affen nachgewiesen worden. Das ist ein starkes Argument dafür, dass die Wahrnehmung von Gesichtsausdrücken bei Menschen und Affen auf ähnlichen Mechanismen beruht. Die Tübinger Wissenschaftler zeigen nun in der Online-Fachzeitschrift eNeuro, dass der „Uncanny Valley“-Effekt bei Rhesusaffen überwunden werden kann. Die Tiere lehnen Avatare ab, die dem natürlichen Vorbild nicht nahekommen, akzeptieren jedoch eine natürlich anmutende Version und eine völlig fremde Form. „Wir bestätigen nicht nur, dass es den „Uncanny-Valley“-Effekt bei Rhesusaffen tatsächlich gibt, sondern zeigen auch, dass die Affen auf einen sehr natürlich anmutenden Avatar mit arttypischem Verhalten reagieren“, sagt Professor Thier.
Er und Professor Giese werden den akzeptierten Avatar nutzen, um zu verstehen, wie Rhesusaffen den Gesichtsausdruck ihrer Artgenossen wahrnehmen und angemessen darauf reagieren. „Solche Untersuchungen können uns helfen, herauszufinden, warum Menschen mit einer Autismus-Spektrum-Störung Schwierigkeiten haben, den Gesichtsausdruck und den Blick des anderen zu verstehen und damit umzugehen“, sagt Ramona Siebert, die Erstautorin der Studie. „Gesichtsausdrücke zu interpretieren ist eine Kernfunktion menschlicher Kommunikation“, so Professor Thier. „Wir haben durch die Verwendung des Avatars die Chance, zu verstehen, worauf das Kommunikationsdefizit beim menschlichen Autismus beruht“.
Die Tübinger Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben mit vier verschiedenen Avataren gearbeitet, die Nick Taubert entwickelt hat: einem natürlich aussehenden Avatar mit Fell und Gesichtsdetails, einem Avatar ohne Fell, einem Graustufen-Avatar und einem Gittermodell-Avatar. Zudem zeigten sie den Versuchstieren auch Videoaufnahmen von Gesichtsausdrücken ihrer Artgenossen. Die Rhesusaffen schauten auf das Gittermodell, vermieden allerdings den Blick auf den Graustufen-Avatar und den Avatar ohne Fell, was dem „Uncanny-Valley-Effekt“ entspricht. Dabei ging es um fünf Gesichtsausdrücke: um einen neutralen Gesichtsausdruck, eine Drohgebärde, einen ängstlichen Ausdruck, ein freundlich-entgegenkommendes Schmatzen und um einen artifiziellen Ausdruck, den es im Verhaltensrepertoire der Tiere gar nicht gibt.
Am längsten schauten die Rhesusaffen auf die Drohgebärde, interessierten sich aber auch für den freundlichen und den ängstlichen Ausdruck, für den artifiziellen Ausdruck dagegen kaum. Die Tiere reagierten auf die Videoaufnahmen der lebenden Artgenossen und den natürlichen Avatar am ehesten mit einer freundlichen Geste. Die unnatürlichen Avatare lehnten sie noch stärker ab, wenn diese den jeweiligen Gesichtsausdruck als Bewegung präsentierten, nicht als statisches Bild. Das ist auch beim Menschen so. Nicht gemochte Avatare werden als Animationen noch weniger akzeptiert als in Form eines statischen Bildes. Die Tübinger Wissenschaftler haben mit dem Avatar ein wichtiges Instrument für die weitere Forschung in der Hand.
Originalpublikation
Siebert, R., Taubert, N., Spadacenta, S. et al. (2020): A naturalistic dynamic monkey head avatar elicits species-typical reactions and overcomes the uncanny valley.
Online-Veröffentlichung in eNeuro: doi:10.1523/eneuro.0524-19.200
Bildmaterial:
Bildrechte: Nick Taubert / Hertie-Institut für klinische Hirnforschung
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