Über uns
Die Abteilung für Kognitive Neurologie wurde im Jahre 2000 mit Unterstützung des Programmes C4-Abteilungen für Neurowissenschaften an Neurologischen Kliniken der Hermann und Lilly-Schilling Stiftung gegründet und als ihr Leiter Prof. Hans-Peter Thier berufen. Mit Gründung des Hertie Institutes für Klinische Hirnforschung/Zentrum für Neurologie im Jahre 2002 wurde die Abteilung Kognitive Neurologie ein konstituierender Teil dieser Zwillingsstruktur. Anfang 2004 richtete die Abteilung aus ihrem Bestand eine Sektion für Neuropsychologie ein, um die patientenbasierte Forschung über Störungen von Raumorientierungs- und Raumwahrnehmungsstörungen unter der Leitung von Prof. Hans-Otto Karnath zu intensivieren.
Im Jahre 2008 wurde sie durch die Gründung einer Sektion für Theoretische Sensomotorik verstärkt, die durch eine Mischfinanzierung aus Mitteln des HIH und des Werner-Reichardt Centrums für Integrative Neurowissenschaften (CIN) möglich wurde und von Prof. Martin Giese geleitet wird. Ein wesentliches Interesse dieser Sektion ist die Nutzung theoretischer und technischer Ansätze für die Diagnostik und Rehabilitation neurologischer Erkrankungen. Schließlich wurde im Jahre 2009 Cornelius Schwarz auf eine eher grundlagenwissenschaftlich orientierte Professur für Systemische Neurophysiologie des CIN berufen, die mit Blick auf vielfältige methodische und konzeptionelle Bezüge in die Abteilung für Kognitive Neurologie integriert wurde.
Die Abteilung umfasst zur Zeit acht unabhängige Forschungsgruppen, nämlich die Sektionen Neuropsychologie (Hans-Otto Karnath) und Theoretische Sensomotorik (Martin Giese) sowie die Gruppen Systemische Neurophysiologie (Cornelius Schwarz), Aktive Wahrnehmung (Ziad Hafed), Neuropsychologie der Handlungskontrolle (Marc Himmelbach), Modellierung der Bewegungskontrolle (Daniel Häufle), das Sensomotorik Labor (Hans-Peter Thier) und das Okulomotorik Labor von Uwe Ilg, der neben dem Labor auch das Schülerlabor Neurowissenschaften des Centrums für Integrative Neurowissenschfaten (CIN) leitet.
Forschungsinhalte und Methoden
Die Abteilung Kognitive Neurologie versteht sich als Basis für Untersuchungen zur funktionellen Architektur höherer Hirnleistungen und ihrer Störungen. Das Spektrum der Themen ist breit, was Ausdruck der Zusammenarbeit einer nicht geringen Zahl eigenständiger Arbeitsgruppen mit individuellen Interessen ist. Zu den adressierten Themen gehören u.a. die Grundlagen und Störungen von Prozessen der Raumwahrnehmung und räumlichen Orientierung einschließlich der Mechanismen perzeptueller Stabilität angesichts von Eigenbewegungen, Grundlagen der Aufmerksamkeitssteuerung, des motorischen Lernens sowie sozialer Interaktionen. Der Zugang zu diesen Leistungen umfasst eine Vielzahl methodischer Ansätze: um etwa die Folgen von Hirnläsionen für höhere Hirnleistungen zu charakterisieren, werden moderne Methoden der Kernspintomographie-basierten Läsionskartierung mit klassischen neuropsychologischen Testverfahren und elaborierteren psychophysischen und behavioralen Messungen, teilweise unter Einsatz von "motion capturing" und virtuellen Realitäten, sowie nichtinvasiven "bildgebenden" Verfahren (EEG, MEG, fMRI; die beiden letztgenannten in Zusammenarbeit mit MEG- bzw. Kernspintomographiezentrum der Fakultät) verknüpft. Die transkranielle Magnetstimulation wird genutzt, um die Wirkung realer Hirnläsionen durch virtuelle Läsionen in gesunden Gehirnen zu simulieren.
Um die neuronalen Grundlagen der interessierenden Leistungen zu entschlüsseln, werden tierexperimentelle Modellsysteme genutzt. Im Vordergrund stehen hierbei Experimente an wachen und trainierten Nagern (einschließlich genetisch modifizierter Tiere) sowie an nichthumanen Primaten, die es erlauben die Aktivität einzelner Neurone und neuronaler Netze mit elektrophysiologischen und optischen Verfahren zu registrieren und mit wohldefinierten Verhaltens- und Wahrnehmungsleistungen in Beziehung zu setzen. Sie erlauben ferner die zielgenaue Manipulation einzelner Neurone und Neuronenverbände (Iontophorese, reversible pharmakologische und optogenetische Läsionen etc.) zur Etablierung von Kausalität.
Derzeit im Aufbau befinden sich Experimente zur Nutzung von genetisch modifizierten nichthumanen Primaten als Autismus-Modellsystem. Die in-vivo Ansätze werden ergänzt durch in-vitro Verfahren, in denen whole cell patch clamp-Ableitungen und intrazelluläre Ableitungen genutzt werden, um spezifische Neurone mit Blick auf ihre Membraneigenschaften und ihre synaptischen Beiträge zu charakterisieren. Schließlich werden die Werkzeuge der Theorie und Modellbildung, die v.a. von der AG Giese angeboten werden, genutzt, um die gewonnenen Daten zu integrieren und experimentell prüfbare Voraussagen zu generieren. Die Methodenvielfalt trägt der Notwendigkeit Rechnung, eine komplexe Hirnleistung und ihre krankheitsbedingte Störung auf unterschiedlichsten Ebenen zu beleuchten.
Am Ausgangspunkt steht immer ein klinisches Problem, etwa die Frage, was denn eigentlich eine cerebelläre Ataxie ist und wie man sie eventuell lindern könnte, Fragen, deren Beantwortung in aller Regel nur dann gelingen kann, wenn man bereit ist, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, welche normale Rolle die beeinträchtigte Struktur eigentlich spielt und welche Beiträge den verschiedenen -und potentiell durch Erkrankungen gefährdeten- funktionellen Elementen zukommt. Oder etwas genereller formuliert: die Manifestationen von Störungen komplexer Hirnleistungen wie Neglect, wie Ataxie, wie Autismus zu verstehen, erfordert immer das Verständnis der normalen funktionellen Architektur der zugrundeliegenden gesunden Systeme.
Beteiligung an Gruppenförderinstrumenten
Die Abteilung Kognitive Neurologie hat in Vergangenheit und Gegenwart eine zentrale Rolle in der Entwicklung und Koordination verschiedenster Gruppenförderinstrumente gespielt. So wurden etwa der Sonderforschungsbereich 550 (Erkennen, Lokalisieren, Handeln...), der im Jahre 2009 auslief, und eine ihm vorausgehende Forschergruppe ähnlicher Ausrichtung von Hans-Peter Thier koordiniert. Viele Mitglieder der Abteilung und des HIH insgesamt sind beteiligt am Exzellenzcluster "Werner Reichardt Centrum für Integrative Neurowissenschaften", das sich zur Zeit in seiner zweiten Förderperiode befindet und gleichfalls von Hans-Peter Thier koordiniert wird. Eine transregionale Forschergruppe (FOR 1847, Kurztitel: Primate Systems Neuroscience), in der Arbeitsgruppen aus Göttingen, Marburg, Frankfurt und Tübingen, die Hirnforschung an nichthumanen Primaten betreiben, zusammenarbeiten, begann ihre Arbeit Anfang 2014. Sie wird gemeinsam von Hans-Peter Thier und Prof. Stefan Treue vom Deutschen Primatenzentrum Göttingen geleitet. Die Ende 2016 eingerichtete Arbeitsgruppe Häufle ist Teil der regionalen Forschungsallianz 'System Mensch' zwischen den Universitäten Tübingen und Stuttgart. Erwähnt sei auch, dass Martin Giese einer von nur drei Tübinger Neurowissenschaftlern ist, die Mitglieder des EU-finanzierten Human Brain Projects sind.
Zentrum für Neurologie
Hertie-Institut für klinische Hirnforschung
Abteilung Kognitive Neurologie
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