Alzheimer-Forschung könnte bald mit weniger Tierversuchen auskommen
Bei einer Alzheimer-Demenz verklumpt ein Protein mit dem Namen Beta-Amyloid zu unlöslichen Plaques und lagert sich im Gehirn ab. Forscher versuchen seit langem, diese Verklumpung und Plaque-Bildung durch ein frühzeitiges Eingreifen zu verhindern oder zu verzögern und die Demenz dadurch erst gar nicht aufkommen zu lassen oder um Jahre hinauszuzögern. Da sich das im Labor verklumpte Beta-Amyloid von den im Gehirn gebildeten Plaques deutlich unterscheidet, sind bislang viele Experimente mit sogenannten Alzheimer-Mäusen gemacht worden. Diese Mäuse entwickeln aufgrund einer genetischen Veränderung eine ähnliche Pathologie wie Alzheimer-Patienten. Renata Novotny und Mathias Jucker von der Abteilung für Zellbiologie Neurologischer Erkrankungen am HIH des Universitätsklinikums Tübingen und des DZNE ist es gelungen, eine Alternative zu diesen Tierversuchen zu entwickeln. Sie haben ein Gewebekultursystem ausgearbeitet, dass die Aggregation der pathologischen Plaques nachvollzieht und damit als Ersatz für viele Tierversuche dienen kann. Dieses Projekt wurde vom Bundesministerium für Bildung und Forschung über die Initiative „Alternative zum Tierversuch“ gefördert.
Novotny und Jucker verwenden für ihr Testsystem Gewebe aus dem Hippocampus einiger Alzheimer-Mäuse. Sie können dieses Gewebe über Monate hinweg kultivieren und für viele Experimente nutzen. Im Hippocampus werden die Erinnerungen generiert. Deshalb ist dieses Gewebe für die Alzheimer-Forschung so wichtig und die Basis für das neue Testsystem. Novotny, Jucker und ihre Kollegen konnten in diesen Kulturen die Bildung von Plaques induzieren was anderen zuvor nicht gelungen war. Dazu war allerdings ein wichtiger Handgriff nötig. Die Plaques entstehen in den Gewebekulturen nur dann, wenn man zu der Kultur einen Beta-Amyloid-Aggregationskeim hinzufügt. Dieser Aggregationskeim wirkt wie ein Startschuss oder ein fallender Dominostein. Er zwingt das vorhandene Beta-Amyloid in einer Kettenreaktion dazu, zu verklumpen. Als Aggregationskeim haben Novotny, Jucker und ihre Kollegen eine kleine Menge an mit Plaques vollgestopftem Hirngewebe verwendet.
Das neue Testsystem kann nun dazu verwendet werden, um die Entstehung dieser Amyloid-Ablagerungen besser zu verstehen. Auch neue Medikamente können damit voruntersucht werden. Dabei interessieren sich die Wissenschaftler vor allem für die Wirkstoffe, die die Aggregation stoppen oder vermindern, dem Hirngewebe aber nicht schaden. Jucker verspricht sich viel von dem neuen System: "Ich bin überaus glücklich, dass es uns gelungen ist, dieses neue Modell zu entwickeln. Ich hoffe, dass wir in Zukunft vermehrt auf diese Alternative zum Tierversuch zurückgreifen können", sagte der Alzheimer-Forscher. Die Details zu dem neuen Testsystem sind in der Zeitschrift „Journal of Neuroscience“ veröffentlicht worden (DOI:10.1523/JNEUROSCI.0258-16.2016).
Originalpublikation:
Renata Novotny, Franziska Langer, Jasmin Mahler, Angelos Skodras, Andreas Vlachos, Bettina M. Wegenast-Braun, Stephan A. Kaeser, Jonas J. Neher, Yvonne S. Eisele, Marie J. Pietrowski, K. Peter R. Nilsson, Thomas Deller, Matthias Staufenbiel, Bernd Heimrich und Mathias Jucker
Conversion of synthetic Aβ to in vivo active seeds and amyloid plaque formation in a hippocampal slice culture model
The Journal of Neuroscience, Bd. 36, S. 5084-5093
Die Abbildung zeigt Alzheimer Plaques (in Rot) im Hirngewebe einer Maus. Das Gewebe wird über Monate kultiviert und ist daher eine Alternative zu Tierversuchen. (©Renata Novotny, HIH Tübingen)
Hertie-Institut für klinische Hirnforschung
Leitung Kommunikation
Otfried-Müller-Str. 27
72076 Tübingen
In Vertretung:
Dr. Hildegard Kaulen
Karlsruher Str. 8
65205 Wiesbaden
Tel: 06122 52718
E-Mail: h.kkaulen-wissenschaft.de