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Klinische Genetik paroxysmaler neurologischer Erkrankungen

Der Überbegriff der paroxysmalen neurologischen Erkrankungen verbindet ein breites Spektrum an klinischen Entitäten mit episodischem Auftreten von Störungen des Nervensystems. Epilepsien und Paroxysmale Bewegungsstörungen (Dyskinesien) repräsentieren typische Beispiele, die häufig klinische und pathophysiologische Überlappungen zeigen und die den Schwerpunkt der Arbeitsgruppe bilden.

Die Epilepsie ist eine häufige neurologische Erkrankung mit einer Lebenszeitinzidenz von bis zu 3%. Sie kann in fokale und generalisierte Formen wie auch pathophysiologisch in läsionelle/symptomatische (induziert durch z.B. Narben, Dysplasien oder Ischämie) und genetische (idiopathische) Formen eingeteilt werden.

Bis zu 30% der Epilepsien sind überwiegend genetisch bestimmt, wobei nur ein kleiner Teil monogenetisch bedingt ist, d.h. dass nur eine Mutation in einem Gen zu dem entsprechenden Phänotypen führt. Die meisten genetischen Epilepsien unterliegen einem komplex-genetischen Erbgang, d.h. dass nur eine Kombination verschiedener genetischer Faktoren zum Phänotypen führt.

Die genetischen Epilepsien können in folgende Formen unterteilt werden:

  • die idiopathischen/genetischen generalisierten Epilepsien (IGE/GGE), wie die kindlichen (CAE) und juvenilen (JAE) Absence Epilepsien, die juvenile myoklonische Epilepsie (JME), die Aufwach-Grand mal Epilepsie (EGMA) sowie die früh beginnende Absence Epilepsie (EOAE)
  • die idiopathischen fokalen Epilepsien, wie die nächtliche Frontallappenepilepsie (ADNFLE) oder die familiären Temporallappenepilepsien (TLE) inklusive der gutartigen Syndrome der frühen Kindheit wie die neonatalen (BFNS), infantilen (BFIS) und infantil-neonatalen (BFINS) Formen
  • die epileptischen Enzephalopathien inklusive der Fieber-assoziierten Syndrome wie die generalisierte Epilepsie mit Fieberkrämpfen plus (GEFS+) oder die schwere Form von GEFS+, das Dravet Syndrom (SMEI, severe myoclonic epilepsy of infancy) oder das Othahara Syndrom

Die Epilepsien zeigen eine Überlappung mit den paroxysmalen Dyskinesien (PD), da sie gehäuft gemeinsam bei Individuen und in Familien auftreten und bei mehreren Formen die gleichen genetischen Veränderungen gefunden wurden. PD können läsionell bedingt sein (z.B. durch Läsionen bei Multipler Sklerose in den Basalganglien), aber die meisten Formen sind genetisch bedingt. Die genetischen Formen werden unterteilt in die folgenden Subtypen:

  • die non-kinesiogene Dyskinesie (PNKD)
  • die kinesiogene Dyskinesie (PKD)
  • die belastungs-induzierte Dyskinesie (PED)

Die bei diesen Erkrankungen beobachteten episodischen Attacken beinhalten choreatiforme, ballistische, athetotische und dystone Bewegungen. Sie können durch unterschiedliche Stimuli induziert werden: Bei PNKD können die Attacken durch Stress oder Alkohol ausgelöst werden, aber nicht durch motorische Aktivität; bei PKD sind die für Sekunden anhaltenden Attacken typischerweise durch schnelle Willkürbewegungen induziert; bei PED durch längerfristige motorische Aktivität in der belasteten Muskelgruppe wie z.B. in der oberen Extremität nach längerer Armaktivität mit einer Dauer von 30-60 Minuten.

Alle Formen von PD können mit Epilepsien assoziiert sein. Bei PNKD wurden Mutation im Kaliumkanalgen KCNMA1 gefunden, bei PKD eine Überlagerung mit BFIS mit Mutationen in PRRT2 (proline rich transmemberane protein 2, s.u.) und PED mit verschiedenen Formen der Absence Epilepsien mit Mutationen in SLC2A1 codierend für den Glucosetransporter Typ 1.


Abbildung 1: Der Glucose Transporter Typ 1 (Glut1)
Glut1 ist der wichtigste Glucosetransporter des Gehirns, da er die Glucose über die Bluthirnschranke transportiert (A). Glucose-uptake Untersuchungen in Xenopus laevis Oocyten zeigen eine verminderte max. uptake Geschwindigkeit bei Mutanten gegenüber dem Wildtyp (B), wobei immunocytologische Untersuchungen eine unveränderte Oberflächenexpression des Transporters auf den Oocyten demonstrieren (C) (Weber et al. 2008).

Glut1 ist der wichtigste Glucosetransporter des Gehirns, da er die Glucose über die Blut-Hirn-Schranke transportiert (Abbildung 1). Die Glut1 Syndrome beinhalten eine Vielzahl von klinischen Syndromen. Die ersten Mutationen in PED wurden 2008 beschrieben. Sie führen zu einem reduzierten Glucosetransport, was das episodische Auftreten von Beschwerden unter konstanter körperlicher Belastung erklären kann (Weber et al. 2008). Mutationen in SLC2A1 wurden darüber hinaus bei Patienten mit früh beginnender Absence Epilepsie (EOAE, Suls et al. 2009) und kindlicher Absence Epilepsie gefunden (CAE, Striano et al. 2012). Alle Glut1 Syndrome sprechen gut auf eine ketogene Diät an, die den defekten Glucosetransport durch eine Ketongabe umgeht.

Das Syndrom der benignen familiären infantilen Anfälle (BFIS) ist gekennzeichnet durch Cluster von Anfällen beginnend im 3. bis 12. Lebensmonat. Die Anfälle können sehr gut medikamentös antikonvulsiv behandelt werden und verschwinden spontan im weiteren Verlauf. Die meisten Patienten entwickeln meist keine Anfälle im Erwachsenenalter und durchleben eine normale psychomotorische Entwicklung. Bis zu 40% der Patienten bieten zusätzlich eine PKD, die ebenso gut mit antikonvulsiven Präparaten behandelt werden kann. Seit vielen Jahren ist eine positive Kopplung beider Syndrome zu einer großen Region auf Chromosom 16  bekannt (Weber et al. 2006, Weber et al. 2008), aber es wurde über lange Zeit kein Gendefekt beschrieben. Es konnten Mutationen bei Patienten mit BFIS in PRRT2 gezeigt werden (Schubert et al. 2012, Becker et al. 2013). Das resultierende Protein scheint am vesikulären synaptischen neuronalen Transport beteiligt zu sein (Abbildung 2).



Abbildung 2: Übersicht über die bisher bekannten Mutationen in PRRT2 (Becker et al. 2013)

PRRT2 besteht aus 4 Exonen, wobei nur der schwarz markierte Bereich codierend ist. Mutationen wurden gefunden bei Patienten mit paroxysmaler kinesiogener Dyskinesie (PKD), benignen familiären  infantilen Anfällen (BFIS), einer Kombination aus beidem (ICCA), paroxysmaler non-kinesiogener Dyskinesie (PNKD) sowie paroxysmaler belastungsinduzierter Dyskinesie (PED) zusammengefasst als PD.

Kürzlich konnten zudem für BFIS und PKD Mutation in einem Natriumkanalgen SCN8A nachgewiesen als ein zweites Gen für diese Erkrankungsgruppe (Gardella et al. 2016).

Ein weiterer Focus der Arbeitsgruppe war in den letzten Jahren ist die genetische Untersuchung von Patienten mit Epileptischen Enzephalopathien (EE). Es handelt sich um eine Gruppe von frühkindlich beginnenden Epilepsien, die durch eine häufige Pharmakoresistenz und psychomotorischer Entwicklungsstörung gekennzeichnet ist. So war die Arbeitsgruppe an der Beschreibung der Gene STX1B, CHD2, GRIN2A, DNM1 und KCNA2 beteiligt (Suls et al. 2013, Lemke et al. 2013, Schubert et al. 2014, Syrbe et al. 2015, EuroEpinomics-RES consortium et al. 2017).

Prof. Weber hat zudem zusammen mit PD Dr. von Spiczak (Universität Kiel) die Kommission Genetik und Epilepsie der Deutschen Gesellschaft für Epileptology (DGfE) gekündigt, die Empfehlungen zur genetischen Diagnostik und pathophysiologie-getriggerter Therapie in Epilepsie erstellt hat.

 

Forschungsgruppenleitung
Prof. Dr. Yvonne Weber yvonne.weber@uni-tuebingen.de Anschrift

Zentrum für Neurologie
Hertie-Institut für klinische Hirnforschung
Abteilung Neurologie mit Schwerpunkt Epileptologie

Hoppe-Seyler-Straße 3
72072 Tübingen

Tel.:  +49 (0)7071 29-80443 oder
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